Die Waldbaustelle

Phase 1: Bauplatz organisieren

 

Phase 2: Behausungen errichten

 

Phase 3: spielen

 

Was Waldwoche im Frühjahr
Teilnehmer 40 Grundschüler der GS Borgsdorf
Wo+Wann Hort GS Borgsdorf, Frühjahr 2009
Organisation Martina Nadansky
Projektteam Martina Nadansky, 1 Erzieher

Projektbeschreibung

(Text veröffentlicht in: kindergarten heute 10/ 2008)

Der Wald
Der Wald ist ein ganz besonderer Naturraum– ein lebendiger und gleichzeitig mystischer Ort, Schauplatz vieler Märchen und Geschichten. Die Menschen haben schon immer im Wald natürlichen Schutz vor der Witterung, vor wilden Tieren und auch Feinden gesucht – dabei sind ganz unterschiedliche Behausungen entstanden, die auf das vorhandene Baumaterial und die Arbeitskraft der Bewohner angewiesen waren. Diesen interessanten Zusammenhängen wollen wir mit unserem Workshop Waldbaustelle auf die Spur kommen. Wir verwenden daher nur Materialien und Methoden, die wir im Wald vorfinden und die die Natur unbeschädigt lassen.

Die Waldbaustelle
Wir sehen uns zunächst im Wald um und lernen den Ort kennen. Bereits die generelle Auswahl des Bauplatzes muss die für eine zukünftige Siedlung wichtigen Grundlagen erfüllen: eine geschützte und dennoch gut erreichbare Lage, das reiche Vorkommen von Baumaterial und die Einbindung in eine vielfältige und interessante Umgebung. Auch am Hausbau selbst lassen sich später ganz typische Bauphasen ablesen – Rohbau (= Konstruktion), Innenausbau (= Ausstattung) und Bewohnen(= Spiel) -, die man sehr gut mit den Kindern thematisieren kann.

Stadtplanung
Mit Hilfe eines rot-weißen Absperrbandes markieren die Kinder zunächst selbst mit ihren Körpern den Bauplatz, der dadurch maßstabsbezogen und überschaubar bleibt. Einige Baumstämme werden als Eckpunkte integriert, dazwischen bilden sich Plätze und Durchgänge – so entsteht die Grundanlage einer kleinen Siedlung. Sofort entwickelt sich eine erste Diskussion – wie groß soll die Baustelle werden? Gibt es einen Stadteingang und wo ist er? Gibt es verschiedene Stadtviertel? Gibt es einen großen Marktplatz für alle? Genauso funktioniert Stadtplanung.

Bauplatz
In kleineren Gruppen von 3-4 Kindern werden nun die eigentlichen Bauplätze ausgewählt. Die Grundstückswahl richtet sich bereits in diesem frühen Stadium nach den Vorlieben und Prioritäten der Kinder: Wie können wir uns gegen Wind und Regen schützen? Wo ist die Sonne? Wo gibt es einen trockenen Boden? Wo soll der Eingang sein? Welche Aussicht möchten wir haben? Wie dicht am Nachbarn wollen wir bauen? Es wird diskutiert und gestritten – jemand muss die Bedürfnisse koordinieren und regeln. Benachbarte Gruppen beginnen sich  abzusprechen, um sich nicht zu stören. Noch ist ja auch unklar, wie groß die Behausungen werden.

Material sammeln
Nach der Grundstückswahl geht es sofort ans Materialsammeln. Dabei machen die Kinder die Erfahrung, dass die nahe gelegenen Orte auch die Orte mit der größten Konkurrenz sind und daher bald das Material knapp werden könnte. Sesshaftigkeit und Mobilität- ein großes Thema für die Menschheitsgeschichte. Die Architektur hat viele Antworten darauf gefunden.

Auf der Waldbaustelle wie in der Architektur muss geeignetes Material viele Bedingungen erfüllen. Die wichtigste Eigenschaft ist die Tauglichkeit des Materials als Konstruktionselement (lange Äste, kleine Stämme) oder Oberflächen- und Hüllenmaterial (Moos, Blätter, kurze Zweige mit Nadeln, Erde, Sand, Steine). Seine Eigenschaften in Bezug auf Statik, Witterungsschutz und auch Ästhetik werden getestet. Es muss in fußläufiger Nähe in ausreichender Menge auffindbar sein. Es muss außerdem transportabel sein, darf also nicht zu schwer und auch nicht zu sperrig sein. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, muss man sich etwas einfallen lassen. Es werden Transportmethoden erfunden, die einen effektiveren Arbeitsablauf ermöglichen. Große Teile können in mehrere kleine geteilt werden. Manchmal muss man von einem guten Baumaterial Abstand nehmen, wenn es nicht transportiert werden kann oder auch umgekehrt. Abgesehen von natürlichem Material sind leider auch andere Dinge im Wald zu finden- alte Plastiktüten, verwitterte ausgediente Behälter, Sperrmüll und Gartenabfälle. Wir integrieren sie in unser Motto „Material aus dem Wald“ und säubern damit gleichzeitig den Naturraum.

Bauen und Konstruieren
Die Gruppen teilen sich bald auf in Bauarbeiter und Materialbeschaffer So kommt der Bau ohne Zeitverzögerung voran – allerdings werden die ersten wichtigen Grundentscheidungen dementsprechend von den Bauarbeitern getroffen, was zu ersten Konflikten führt. Parallel dazu werden die mitgebrachten Werkzeuge getestet und neue erfunden. Die entstandenen Konstruktionen lassen sich in drei verschiedene Grundprinzipien einteilen

  1. Einzelne Baumstämme bilden den Mittelpunkt einer Konstruktion – eine Art Mittelpfosten, an den sich die anderen Pfosten kreisförmig schräg anlehnen. Sie prägen den kegelförmigen Innenraum mit Mittelstütze.
  2. Mehrere Baumstämme bieten den Anlass, den dazwischen liegenden Raum zu nutzen. Diese Methode erfordert mehr abstraktes Vorstellungsvermögen und kommt auch nicht ganz so spontan zum Ziel. Sie wird daher eher von älteren Kindern verfolgt und von den Erwachsenen stärker begleitet. Immer wieder wechselt hier die Gruppe der bearbeitenden Kinder.
  3. Unterholz bzw. ein vorhandener Sandhügel  werden als Anlass für eine Höhle oder Rückwand  genutzt.

Die Größe der Bauten richtet sich dabei immer nach den Möglichkeiten der Kinder (Größe und Kraft) und vor allem auch dem Maßstab des vorhandenen Materials. Da uns Maschinen als verlängerter Arm und größere Kraft gänzlich fehlen, sind die Kinder auf sich selbst angewiesen und dabei recht erfindungsreich. Da werden Baumstämme zu fünft  balanciert, Äste mit Schwung nach oben geschleudert, „Räuberleitern“ erleichtern das Arbeiten in den oberen Lagen. Auch in der Architekturgeschichte ist der Herstellungsprozess prinzipiell ablesbar. Mit zunehmenden technischen und maschinellen Möglichkeiten entfernt sich der Bauprozess immer mehr von natürlichen Materialvorkommen und menschlicher Arbeitskraft. Heute können wir z.B. Hochhäuser bauen, die höher als 1 km sind. Materialien sind weltweit verfügbar.

Bei allen Konstruktionen – wie auch im realen Bauprozess –  stellt sich die Frage, wie die einzelnen Bauelemente miteinander verknüpft werden. Verarbeitbarkeit, Statik und dauerhafte Haltbarkeit sind die Kriterien. Nach einigen zeitintensiven Versuchen, kleine Äste und gebündelte Grashalme zu knoten, oder Tannenzapfen zu durchlöchern und die Bauelemente gekreuzt hindurchzuführen, haben wir zusätzliche Materialien zur Unterstützung eingeführt: einfache Gummibänder, Blumendraht und Wolle. Aus diesem Bedarf hat sich später ein spontaner Verkaufsstand als „Baumarkt“ entwickelt.

Immobilie
Sobald die Konstruktion steht, wird sie einem statischen Belastungstest unterworfen und ihre räumliche Qualität geprüft. Vieles konnte man sich vorher nicht vorstellen und nun gibt es einige Überraschungen. Der eine Innenraum ist zu niedrig, der andere viel enger als gedacht, der dritte ist gar eingestürzt durch die zu schwere Dachkonstruktion oder es fehlt Licht im Innenraum. Nun wird also verändert, umgebaut, teilweise abgerissen oder sogar ganz neu an anderen Bauplätzen gebaut. Die verlassenen Gebilde werden entweder von anderen Baumeistern übernommen und weitergebaut, oder ihr Baumaterial wird sofort wieder weiterverwendet. Alles scheint hier in der Veränderung begriffen zu sein und ganz und gar nicht „immobil“. Die Kinder jedenfalls gehen mit dem Bauen sehr flexibel, mobil und unerschrocken um.

Besucher
Leider tun das auch die unbekannten nächtlichen Besucher. Am zweiten Morgen finden wir die Baustelle teilweise zerstört vor. Äste sind umgeknickt, ganze Gebilde zur Seite gekippt, bereits angelegte Moosteppiche zerstört. Nach der ersten Aufregung haben wir versucht, den Zustand der Bauten zu analysieren: Warum ist dieser Bau unangetastet geblieben und der andere nicht? Welche Bauweise ist die stabilere? Warum ist die „wilde“, kreuz und quer gebaute Wand zwar verändert, sieht aber gar nicht verändert aus? Und warum sieht man bei seinem „ordentlich“ gebauten Nachbarhaus jede kleine Verschiebung? In dieser Situation haben wir gelernt, dass zum Häuserbauen auch die Benutzbarkeit und die mittel- oder langfristige Stabilität gehören, da man nicht jeden Tag ein neues Haus bauen kann. Es stellt sich auch die Frage, wie man die Waldhäuser gegen „Einbrecher“ schützen kann – ein fundamentales Problem, das man in der Baugeschichte z.B. an der Entwicklung der Burgen, die durch ihre gesamte Anlage Schutz und Abwehr demonstrieren, sehr gut ablesen kann.

Namensgebung
Die entstandenen Konstruktionen sind nicht mit den gängigen Bezeichnungen zu erfassen: Haus, Zelt, Tipi, Dach, Hütte – die Begriffe geraten durcheinander und lassen sich nicht wirklich zuordnen. Denn ein Tipi hat keine Mittelstütze, ein Haus ist ein freistehender Baukörper mit Wänden und Dach, ein Zelt kann verschiedene Formen haben und demnach Iglu-, Tonnen- oder Hauszelt heißen, ein Dach ist eine geschlossene Fläche und eine Hütte ist nicht „fein“ genug. An dieser Stelle haben die Kinder erkannt, dass sie neue Formen aus den vorhandenen Waldmaterialien entwickelt haben, die noch keinen Namen haben. Waldhäuser, Mooszelte oder Astdächer könnten sie vielleicht heißen – oder nach den Funktionen „Verkaufstand“ und „Waldvilla“.

Innenausbau
Nun geht es an den Innenausbau. Ganz andere Qualitäten sind da auf einmal gefragt: die Materialien sollen weich sein, schöne Farben haben und sich gut anfühlen.In auffälligen Astformen kann man Küchengeräte entdecken, Eingänge werden gerahmt, Blumen gepflanzt und Vorhänge gebaut- bewegen lassen müssen sie sich natürlich auch. Ein Projekt besteht gar nur aus dem Innenausbau, ist aber durch die fehlenden Wände auf den besonderen Schutz des markierten Bodens angewiesen (der übrigens nicht zerstört wurde). Ein alter Korb regte zur Einrichtung eines Verkaufstandes an. Diese Bauphase hatte bei den Mädchen einen besonders großen zeitlichen Anteil, und wurde anschließend mit einem gemütlichen Picknick eingeweiht. Bei den Jungen ist es anders- hier wurde die Konstruktion wieder und wieder überarbeitet. Der allein durch die Konstruktion geprägte Innenraum wurde später ganz unausgeschmückt für Bandengespräche genutzt.

Rollenspiele in der Stadt
Für den Verkaufsstand haben die Kinder gemeinsam ein frei zwischen drei Bäume gebautes „Astdach“ ausgewählt, das von mehreren Kindern immer wieder ergänzt wurde und in der Bauphase keiner bestimmten Gruppe zuzuordnen war. Es erinnert an einen Marktstand und bildete durch die unterschiedlichen Baumabstände eine natürliche Ausgabestelle. Hier wurde nun „Verkauf“,  „Straßenbahnhaltestelle“ oder „Kinoschalter“ gespielt. Interessant ist dabei die Wahl ausgerechnet dieser Konstruktion für diese öffentliche Funktion. Sie bietet von allen entstandenen Bauten die größte Offenheit und Flexibilität und hat genau dadurch einen geradezu öffentlichen Charakter. Die anderen „Waldhäuser“ haben eine sehr private Ausstrahlung- es gibt eine eindeutige Trennung zwischen innen und außen durch Raumproportion, Lichtverhältnisse und Eingangsbetonung. Hier wird auch viel mehr das eigene Territorium „verteidigt“,  und dazu gehört bereits der Raum vor dem Eingang, der oft mit „Vorgarten“ und Zaun markiert wird. Bauherren und Besitzer sind eindeutig erkennbar. So entstand allein durch die Konstruktionsart und die Zuständigkeit eine Unterscheidung in privaten und öffentlichen Raum. Diese Unterscheidung ist ein wesentliches Merkmal jeglicher Stadtplanung und wurde hier von den Kindern intuitiv verarbeitet- ein Hinweis auf das in unserem Bewusstsein verankerte Bedürfnis nach einem fein abgestuften Umfeld von privatem über halböffentlichem zu öffentlichem Raum.

Wertung
Das Projekt spricht in einem komplexen Zusammenspiel verschiedene Themenbereiche an. In allen Projektphasen der Standortsuche, Grundstückswahl, Planung, Materialsuche, Bau, Innenausstattung und Spiel werden bauliche, konstruktive, soziale, kommunikative und kreative Fähigkeiten gefördert. Die Gruppendynamik ist sehr offen, auch innerhalb des Projektes können neue Bauplätze und neue Gruppen mit unterschiedlichem Altersprofil entstehen. Ganz unbewusst werden dabei reale Bauprozesse durchgespielt und somit verständlich. Zusätzlich wird der Wald mit seinen Ressourcen und Materialien, auch mit seinen raumbildenden Qualitäten deutlich. Der Respekt vor der Natur wird sichtbar durch den Umgang mit waldspezifischen Materialien.

Veröffentlichung in kindergarten heute
(Fachzeitschrift für Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern) Heft 10/2008

Wir bauen eine Siedlung im Wald – Kinder planen, bauen und gestalten in und mit der Natur

Bauen (fast) nur mit Material, das der Wald hergibt? Das funktioniert bestens und vermittelt ganz unmittelbar wichtige Erkenntnisse über die Geschichte des Bauens.